Ein paar Tage nach dem imaginierten Baseltrip sitze ich auf dem Balkon eines alten Freundes. Das Label ist falsch - wir sind eigentlich keine Freunde (oder doch, ab wie vielen Stücken Kuchen ist man offiziell befreundet?), aber wir kennen uns so lang, das alles andere noch falscher klänge. Er fragt mich nach dem literarischen Quartett und nach Büchern, die ich gelesen habe. Das fragt er öfters und inzwischen lese ich manchmal nur noch, um darüber erzählen zu können. Ob ich dieses eine Buch gelesen habe, dieses neue, von diesem Aufschneider, diesem Christian Kracht?
Die nächsten Minuten vergehen mit einem atemlosen Elevator Pitch der Eurotrash-Rezension, ich schmeiße die Adjektive um mich und Kuchenkrümel auch, ich wusele mich durch einen polemischen Monolog, wo ist überhaupt mein Sendeplatz, kann die gruselige Thea Dorn nicht mal in Ruhestand gehen? “…und dann bin ich noch nicht mal nach Basel gefahren.“
Basel? Da sei er mal gewesen, an einem lauen blauen Tag an dem ihm einfach danach zu mute gewesen sei. Mit einem Eisenbahner-Freifahrtsschein in der Tasche und dem vagen Plan, dort zollfrei Pfeifentabak zu kaufen. Es waren die frühen 70er und er hat exakt die Zugverbindung von Wuppertal über Köln, Mannheim, Freiburg und Basel genommen, die mir nicht aus dem Kopf geht. Vor Ort dann einen Kaffee getrunken, am Rhein gesessen und stapelweise Pfeifentabak gekauft, so viele, dass es bis ins Referendariat rein reichte. Auf der Rückfahrt dann habe er die Dosen im Zug vor den Zöllnern versteckt und mir geht das Bild nicht aus dem Kopf: dieser junge Mann mit der Brille und der Pfeife in der Hemdtasche, der mit einem Vierkantschlüssel ein Geheimversteck in einem Abteil findet und dem Zollbeamten kollegial zunickt, in einer Zeit, die in meinem Kopf sepiafarben ist, es aber bestimmt nicht war.
Basel, SBB.
Irgendwann müsste man wirklich mal dort gewesen sein, denke ich auf dem Heimweg. Irgendwann muss ich diesen Zug nehmen, der in die Vergangenheit fährt, in seine, in Christian Krachts, in die der Welt von Gestern.